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Warum Sie als Lehrkraft nicht hundertprozentig wissen müssen, ab wann es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt (und wie Sie dennoch souverän damit umgehen)

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Wir Lehrkräfte sind besonders geeignet sehr frühzeitig drohende Gefahren für das Kindeswohl wahrzunehmen und Verdacht zu schöpfen. Wir können die Kinder während des Schulvormittags in vielen relevanten Situationen beobachten. Wir bauen vertrauensvolle Beziehungen zu ihnen auf und merken schnell, wie es ihnen psychisch und physisch geht.

Demgegenüber fühlen sich viele Lehrkräfte sehr unsicher im Umgang mit einem Verdachtsfall. Besonders die Frage, ab wann es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt, ist für viele Lehrkräfte schwer zu beantworten.

Dabei müssen sie das gar nicht! Warum das so ist, erfahren Sie weiter unten.

Warum können wir so schwer erkennen, ab wann es sich Kindeswohlgefährdung handelt?

Die Frage, ab wann es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt, ist deshalb so schwer zu beantworten, weil es keine klare gesetzliche Definition mit objektiven Beurteilungskriterien gibt. Die Juristen sprechen von einem „unbestimmten Rechtsbegriff“. Im Verdachtsfall muss also ein erstmal oft nur vages Bauchgefühl präzisiert und ausgelegt werden.

Erschwerend zu dem Fehlen einer konkreten Definition im rechtlichen Regelwerk kommt hinzu, dass die meisten Fälle im Alltag mit den SchülerInnen uneindeutig sind. Ist schon die körperliche Schädigung nicht immer klar zu erkennen, so bietet insbesondere die seelische Verletzung viele Interpretationsspielräume.

Warum Sie nicht genau wissen müssen, ab wann es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt

Viele Lehrkräfte haben Bedenken, dass ihre Meldung an das Jugendamt falsch ist. Sie glauben, eine Kindeswohlgefährdung bis ins letzte Detail nachweisen zu müssen, bevor sie um Hilfe bitten. Dabei stimmt das gar nicht! Im Paragraph 8a SBG V III – dem bekannten Kinderschutzparagraphen – ist von „gewichtigen Anhaltspunkten“ die Rede und auf den Meldebögen der Jugendämter von einer „möglichen Kindeswohlgefährdung“. Die Aufgabe für uns Lehrkräfte ist also nicht die völlig abgesicherte Diagnose Kindeswohlgefährdung zu stellen, sondern das rechtzeitige Wahrnehmen gewichtiger Anhaltspunkte einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Ob diese dann tatsächlich vorliegt, entscheidet das Jugendamt, denn dorthin geben wir als Schule unsere fundierte Gefährdungseinschätzung weiter.

Sie wissen nun, dass Sie keine 100%ig nachgewiesene Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt melden müssen. Sie geben einen Fall dann weiter, wenn „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Gefährdung vorliegen, die Sie als Schule nicht abwenden können. Ob dies der Fall ist, finden Sie durch eine fundierte Gefährdungseinschätzung heraus. Wie das geht? Lesen Sie weiter!

In fünf Schritten zu einer fundierten Gefährdungseinschätzung

Wir machen uns Sorgen um ein Kind in unserer Klasse. Dann ist es das Wichtigste von diesem latent unguten Bauchgefühl hin zu einer begründeten Einschätzung (nicht Beweis!) zu kommen, wie es dem Kind wirklich geht.

Sollte es sich um eine akute Kindeswohlgefährdung handeln, melden Sie diese sofort dem Jugendamt. Sie können die akute Gefährdung meist daran erkennen, dass Sie jetzt und heute Sorge haben, das Kind nach Hause zu schicken.

Schritt 1: Anhaltspunkte für eine mögliche Kindeswohlgefährdung wahrnehmen

Es gibt verschiedene Formen der Kindewohlgefährdung. Besonders schwer zu erkennen sind Vernachlässigung und psychische Misshandlung, aber auch sexualisierte Gewalt. Manche Kinder sind auch von mehreren Formen der Kindeswohlgefährdung betroffen.

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Schreiben Sie im Verdachtsfall unbedingt ihre Beobachtungen auf. Eine sorgfältige Dokumentation kann im weiteren Verlauf noch sehr wichtig werden.

Schritt 2: Gespräche mit dem Schüler oder mit der Schülerin

Gespräche mit Schülern und Schülerinnen finden im Verlauf des Schultags ja ständig statt. Hören sie hier gut zu und schaffen Sie im Verdachtsfall Räume, die den betroffenen Kindern ein ungestörtes Gespräch mit Ihnen ermöglichen.

Wenn Sie darüber hinaus das Gespräch mit einem Kind suchen, empfehle ich Ihnen folgende Bücher:

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Das Wichtigste was wir als Lehrkräfte beachten sollten:

  • das Kind ernst nehmen
  • das Kind ermutigen
  • nicht bohren
  • keine Vorwürfe machen
  • keine Mitschuld geben

Machen auch Sie keine falschen Versprechungen. Sie sollten einem Kind nie versprechen, dass Sie etwas für sich behalten. Das können Sie im Zweifelsfall nicht einhalten. Sagen Sie ihm lieber zu, dass Sie nichts ohne sein Wissen tun werden und Sie es über Ihre nächsten Schritte informieren.

Auch die Gespräche mit den Kindern sollen Sie sorgfältig dokumentieren.

Schritt 3: Kollegiale Beratung und Information an die Schulleitung

Tauschen Sie sich unbedingt mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus. Oft haben wir unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein Kind versorgt werden sollte. Im Internet gibt es viele Einschätzungsbögen, die bei der Objektivierung der Beobachtungen helfen können.

Holen Sie auch rechtzeitig Ihre Schulleitung mit ins Boot. Vielleicht soll sie später ein schwieriges Elterngespräch begleiten oder eine Gefährdungsmeldung unterschreiben – damit möchte sie sicher ungern überfallen werden.

Schritt 4: Gespräch mit den Sorgeberechtigten

Elterngespräche im Rahmen von Kinderschutz sind anspruchsvoll und erfordern sehr viel Geschick und Einfühlungsvermögen. Viele Lehrkräfte vermeiden sie deshalb. Solche Gespräche sind aber auch eine große Chance im Verdachtsfall frühzeitig einzugreifen. Der Kontakt zu uns Lehrern fällt den Eltern oft leichter, als zu einer Beratungsstelle oder dem Jugendamt.

Es hilft diese Gespräche gut vorzubereiten. Ich nutze dafür gerne dieses Formular.

WICHTIG! Es gibt Fälle, in denen sollen wir Lehrkräfte auf keinen Fall mit den Eltern sprechen. Dies ist immer bei sexualisierter Gewalt durch ein Elternteil der Fall oder wenn durch das Gespräch der Schutz des Kindes gefährdet wird.

Schritt 5: Gefährdungseinschätzung ggf. mit einer IseF

Bei der abschließenden Einschätzung der Gefährdung durch die Schule kann eine Insoweit erfahrene Fachkraft (IseF oder InsoFa) hinzugezogen werden. Die Beratung erfolgt anonym und ist KEINE Gefährdungsmeldung, auch dann nicht, wenn die IseF an das Jugendamt angebunden ist.

Als Lehrer oder Lehrerin haben Sie einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie Beratung durch eine IseF (§8b SGB VIII). Wenn Sie nicht wissen, wer für Ihre Schule zuständig ist, rufen Sie am besten einfach mal im Jugendamt an. Die können Ihnen sicher weiterhelfen. Die Kontaktdaten Ihre IseF können Sie hier notieren. Hängen Sie den Vordruck am besten gut sichtbar in Ihrem Lehrerzimmer auf.

Hier können Sie noch mehr über eine Isef lesen.

Fazit: Als LehrKraft müssen Sie nicht hundertprozentig wissen, ab wann es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt

Die Arbeit mit einem möglichen Kinderschutzfall in der Schule löst viele ungute Gefühle bei uns Lehrern und Lehrerinnen aus. Dieser Artikel soll Ihnen Mut machen! Es ist nicht Ihre Aufgabe, eine Kindeswohlgefährdung bis ins letzte Detail nachzuweisen. Sie tun schon sehr viel, wenn Sie gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung wahrnehmen und diesen im Kollegium und mit den Eltern besprechen (Ausnahmen beachten!). Vielleicht konnten Sie die Gefahr so bereits abwenden und die Eltern haben sich Hilfe und Unterstützung geholt. Wenn nicht, ist alles Weitere die Aufgabe des Jugendamtes. Nicht Ihre. Sie können aber natürlich weiterhin ganz viel tun: Seien Sie für das Kind da, bleiben Sie in einer positiven und tragenden Beziehung. Unterstützen Sie es in seiner weiteren emotionalen und kognitiven Entwicklung. Stehen Sie ihm mit all Ihrer LehrKRAFT zur Seite.

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